Chronik eines VHC-Projekts

Im Frühjahr 1991 plant die Stadt Bad Camberg als Eigentümerin der Turmuhr auf St. Peter und Paul diese auf elektrischen Betrieb umzurüsten, da sich nach Maria Siegert, die den Handaufzug nach dem Tod ihres Mannes längere Zeit weitergeführt hatte, kein Nachfolger finden lässt. Diese Situation wird in der Jahreshauptversammlung des VHC erörtert und mit Bürgermeister Ernst Enzmann diskutiert. Der VHC nimmt daraufhin schriftlich Stellung, und fordert den Erhalt des technischen Denkmals aus dem Jahre 1894 als museale Besonderheit unserer Stadt.

Um einen vorübergehende Stillstand des Uhrwerks zu vermeiden, übernimmt Bernd Schlösser ab dem 01.05.1991 vorläufig den täglichen Aufzug; am 12.08.1991 wird nach Erörterung in den städtischen Gremien zwischen der Stadt und ihm ein Vertrag zur Bedienung der Turmuhr geschlossen. Das Entgelt beträgt 75,- DM pro Monat zzgl. Weihnachtsgeld in gleicher Höhe. Die Umrüstung und Ausstattung mit einem elektrisch/mechanischen Planetengetriebe, das die Mechanik der Uhr voll erhalten würde, hätte zu diesem Zeitpunkt ca. 20.000,- DM zzgl. Mwst. gekostet. Mittlerweile beträgt die jährliche Pauschale für den täglichen Handaufzug 800,-€. Trotz der 2,19 € bleibt die emotionale Nähe zur historischen Technik letztlich das entscheidende Motiv für das tägliche Besteigen des Kirchturms. Die Bewältigung unvorhersehbarer und außergewöhnlicher Situationen gelingt mit Sinn für Improvisation und vielfältigem persönlichem Einsatz einschließlich der Familien.

Schnell kommen Klaus Kraft, Willi Wecker, Ulrike und Ulrich Weller als Gleichgesinnte aus dem VHC hinzu; man findet sich zur "Interessengemeinschaft Turmuhr St. Peter und Paul" zusammen und formuliert deren Ziele so: "Ziel und Zweck der IG ist die Erhaltung und der Betrieb des mechanischen Werkes der städtischen Uhr auf dem Turm der Katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul Bad Camberg.(...) Die IG versieht ihre Uhrdienste in gemeinsamer Verantwortlichkeit und führt Zuwendungen oder Spenden nach gemeinsamer Vereinbarung gemeinnützigen, denkmalpflegerischen oder der Ausgestaltung des Stadtbildes dienlichen Zwecken zu."

Letzteres ist die Grundlage für die daraus erwachsende Initiative, ein Glockenspiel im Bereich der historischen Altstadt Bad Cambergs zu installieren. Mitte 2008 kommt ein Meinungsbildungsprozess innerhalb der Interessengemeinschaft und dem VHC in Gang. Glockenspiele in Weilbach/Main-Taunus-Kreis, Sinn/Lahn-Dill-Kreis, Idstein, St. Goar, Apolda, Balduinstein, Höhrgrenzhausen werden besichtigt und angehört, deren Initiatoren und Hersteller zum Teil aufgesucht und konsultiert. Die IG "Turmuhr" erweitert sich zur "Projektgruppe Glockenspiel" im VHC; Eva Bäumlisberger, Dr. Martin Evers und Barbara Schäfer sind weitere Mitglieder.

Walter Lottermann bringt die Idee ein, ausgegangene Camberger Glocken auf der früheren Kapelle im Ortsteil St. Georgen, auf der Kreuzkapelle, auf dem Turm der Hohenfeldkapelle und auf dem Türmchen des Gisbert-Lieber-Hauses, dem ehemaligen Hospital, ideell im Glockenspiel wieder zum Klingen zu bringen. Bedenken im VHC, ob man denn mit der Trägerschaft des Glockenspielprojekts die Vereinszwecke erfülle, münden in eine Erweiterung der Satzung in der Jahreshauptversammlung am 28.04.2009, wo nun " ... die Beteiligung an Projekten zur Stadtentwicklung, ..." als ein zusätzlicher Zweck der Vereinstätigkeiten aufgeführt wird.

Die Finanzierungsplanung in einer Größenordnung von rund 60.000,-€ bei einem Tonumfang von 24 Glocken - in der Stimmung von C3 bis C5 - basiert auf einem 25%-Anteil der "Interessengemeinschaft Turmuhr St. Peter und Paul", weiteren 25% öffentlicher Fördermittel und 50% Spenden.

Am 21.01. 2009 werden Bürgermeister Wolfgang Erk und Bauamtsleiter Hans Saufaus erstmals die konzeptionellen Ideen zum Glockenspiel vorgetragen. Es folgen zahlreiche weitere zwecks Detailplanung, so auch mit der DSK, dem Partner der Stadt bei baulichen Entwicklungsprojekten im Altstadtbereich, und der Unteren Denkmalbehörde des Kreises Limburg-Weilburg. In zwei seiner Sitzungen - am 18.05.2009 und 16.10.2010 - befasst sich der Ortsbeirat der Kernstadt mit der Konzeption des Glockenspiels und stimmt jeweils einstimmig für eine Realisierung. Zwei Verträge zwischen der Stadt Bad Camberg und dem Verein Historisches Camberg bilden aktuell den formalen Abschluss des eng abgestimmten Planungs- und Kooperationsprozesses:

1. Vertrag über die Förderung einer Gemeinbedarfseinrichtung (Er betrifft die Modalitäten der Installation des Glockenspiels und die Förderung aus Städtebaufördermitteln.)

2. Vereinbarung zur Übergabe/Übernahme und Betrieb des Glockenspiels im Amthof (Nach der Fertigstellung geht das Glockenspiel in das Eigentum der Stadt über; den Spielbetrieb regelt weiterhin die "Projektgruppe Glockenspiel".)

Pia Benk und Klausjürgen Herrmann legen 2009/2010 auf Bitten der Initiatoren Gestaltungsentwürfe vor, wobei auch hier von einem Umfang von 24 Glocken ausgegangen wird. Intensive Beratungen folgen bis zur Vorlage bei Stadt, Denkmalbehörde und DSK. In einem gemeinsamen, teilweise auch kontroversen Meinungsbildungsprozess erhält der Vorschlag von Pia Benk den Vorzug. (siehe auch Beitrag "Gestalterische Intentionen für ein Glockenspiel")

Für die Werbung von Glockenspenden und die Wertigkeit des Projekts dürfen die Initiatoren gemeinsam mit Heinrich Thuy, dem Organisten von St. Peter und Paul, nach einem Gespräch mit den in Bad Camberg-Dombach ansässigen Rose und Horst Dyckerhoff ein wichtiges öffentliches Zeichen setzen: Margret Dyckerhoff - zwischenzeitlich leider am 26. März 2011 im Alter von 102 Jahren in Wiesbaden verstorben - in familiärer Verbundenheit mit Rose, Horst, Karin und Peter Dyckerhoff erklären sich am 28.Juni 2010 gemeinsam bereit, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Breit gestreute Werbeinitiativen führen zu zahlreichen Einzel- und ganzen Glockenspenden. (siehe auch Beitrag "Zum Glockenguss in den Niederlanden") 68 Eingänge von Einzelpersonen, Ehepaaren, Gruppierungen und Institutionen weist das Spendenkonto der inzwischen zum "Bürgerprojekt Amthofglockenspiel" gereiften Idee eines Glockenspiels für Bad Camberg aktuell aus.

Mit der Sicherstellung der Finanzierung gilt es den Vergabeprozess abzuwickeln. Eva Bäumlisberger und Michael Traut vom Büro "Traut Architekten" bringen sich fachlich ein. Aus 5 Angeboten - 4 deutschen und einem niederländischen - erhält schließlich die Königliche Glockengießerei Petit und Fritsen aus Aarle-Rixtel in den Niederlanden den Zuschlag, nicht ohne die Prüfung der Kriterien des Bundes-Immissionschutzgesetzes, deren Einhaltung bei einem Probespiel am 17.02.2011 amtlich seitens der Fachbehörde des Kreises bestätigt wird. Die Unterschrift des VHC unter den Liefervertrag erfolgt am 30.03.2011 in den Niederlanden nach einem persönlichen Gespräch mit dem Inhaber Frank Fritsen und einer Besichtigung des seit 1660 dort tätigen Glockengießerunternehmens.

Allen, die den Weg zur Verwirklichung des Glockenspiels bisher mit Spaß an der Sache, durch großherzige Spenden und konstruktive Ideen, mit Bereitschaft für gegenseitige Abstimmung und in zahlreichen Gesprächen begleitet haben, an dieser Stelle herzlichen Dank!

Bernd Schlösser